Der Meister hat uns im Jahre 1989 auf tragische Weise verlassen, ich möchte ihm den ihm gebührenden Platz in der großen Familie der Modellbahnbauer geben, ganz zu schweigen von den sonstigen Herstellungen : der Flugzeuge, Autos, Kanonen, usw. … Es gibt keinen ersten oder letzten Platz, aber einen wichtigen, nämlich ihn immer in Erinnerung zu behalten …
Patrick Schindler
Arnaldo Pocher wurde am 22. September 1911 in Trient (Südtirol) geboren, wo er auch seine Jugend verbrachte und eine technische Schule besuchte. Danach arbeitete er in verschiedenen Goldschmiede-Ateliers.
Im Atelier Villarboito in Turin – in das er 1927 eintrat – lernte Pocher die Gravierkunst. Das war die Grundlage für seinen späteren Beruf als Modellbauer.
Während des zweiten Weltkrieges kämpfte er in Äthiopien und auf Sizilien.
Im Jahre 1949, nachdem er eine Miniatureisenbahnanlage in Turin bewundert hatte – verschrieb er sich ganz dem Modellbau. Seine ersten Modelle baute er in seinem Haus in der Via Risorgimento. Es sind hauptsächlich Zubehörteile (Wassertürme, Wasserpumpen, Bahnübergänge …), die er aus vergoldetem oder bemaltem Messing baute.
Künstler und Handwerker zugleich, wird er von einem Turiner Kaufmann gefördert. Ab 1950-51 wird er immer erfolgreicher. Mit der Unterstützung seiner Frau, Maria-Pia, gründet er die berühmte Marke.
Mit 40 Jahren beginnt für Arnaldo ein entscheidender Lebensabschnitt. Er schliesst sich mit Corrado Muratore zusammen. Die beiden gründen die Pocher-Micromeccanica S.N.C. (eine oHG). Muratore übernimmt die Verwaltung und Finanzen. Der erste Katalog erscheint 1951.
Herstellung der Modelle
In den Jahren 1949 bis 1952, verwendet Pocher hauptsächlich Kupfer, Faesite (Holzfaserplatten) und Holz. Die Bemalung wird von Hand oder in Airbrush-Technik ausgeführt. Er baut die Metallschienen im Schotterbett (3-Schienen-System HO) und, wie der Franzose Charles Volon (Marke VB), die Weichen mit Mittelkontakten, und zwar lange vor Märklin (Ehre wem Ehre gebührt….). In der Folgezeit kauft Märklin ihm das Patent dafür ab. 1953 – Bau von Signalen, Flügelsignalen … und ersten Güterwagen aus Messing, aber auch Schlafwagen «p» aus einer Magnesium-Legierung.
Die frühen fünfziger Jahre sind für Arnaldo eine aufregende Zeit. Er gründet den Modelleisenbahnklub von Piemont mit Sitz in Pocher’s eigenen Werkstätten, in der Via Lucento. 1954 – Güter- und Personenwagen werden jetzt industriell gefertigt. Zunächst wurden sie aus Zellulose-Acetat entworfen, ab 1957 wird das Gehäuse der Waggons aus Polystyrol gegossen. Im selben Jahr verschwinden die gefederten Prellböcke – leider. Von 1954 bis 1956 steigt die Jahresproduktion von ca. 300 auf 1.500 Waggons. Sie werden in die ganze Welt exportiert. Von den Vereinigten Staaten bis Australien von Argentinien bis Kanada über Belgien (Codaco) und in die Schweiz. Hier wird der berühmte Graf Coluzzi (Fulgureux) offizieller Vertragshändler der italienischen Marke. Die ersten «Super-Modelle» (Passagiere, Sitze, Liegesessel, Verzierung, Beleuchtungskörper, Tische …) sowie die Beleuchtung (für 2- und 3-Schienen-Systeme) werden 1958 auf den Markt gebracht. Ab 1960 erhalten die Güter- und Personenwagen eine Patina-Bemalung. Besonders zu erwähnen ist die Tatsache, dass die Beschriftungen im Jahre 1962 von Hand (mit Tampons) oder im Siebdruck (z. B. bei den schwedischen Waggons) ausgeführt werden.
Der erste farbige Katalog erscheint im Jahre 1958. Dort findet man den berühmten CC 7107 SNCF «Mistral» – Weltrekordgeschwindigkeit bei 331 km/h – dessen Produktion zwischen 1963 und 1965 beginnt: 500 Exemplare für Gleichstrom und 300 für Wechselstrom. Diese – noch heute – phantastischen Modelle verdienen eigentlich ein ganzes Kapitel für sich. Vor dreißig Jahren wurde diese elektrische Lokomotive mit einer Kupplung und einem Ventilator versehen (zur Kühlung des Motors). Die Beleuchtung bei Halt, Abfahrt und langsamer Fahrt, mit Freilauffunktion in beiden Richtungen war von Anfang an vorgesehen. Ein konkurrenzloses Ausnahmemodell ohne vergleichbares Gegenstück bei den großen Marken der Zeit.
Ebenfalls im Jahre 1963 konstruiert Arnaldo Pocher das Modell (2-Schienensystem) der ersten italienischen Lokomotiven «Bayard» und «Vesuvio» von 1839 aus vergoldetem Messing, wobei die Lok über den Tender angetrieben wird . Sie wird in 800 nummerierten Exemplaren gebaut.
Ende der Epoche
Der «Bayard» wird zum ‚Schwanengesang’ für den Meister. Er fusioniert mit Rivarossi. Die große italienische Firma nimmt Pochers Produktion wieder auf, indem sie sie rationalisiert und den technischen und wirtschaftlichen Anforderungen anpasst.
Seit 1963 ist Pocher nicht mehr Pocher. Der ganze Charme und die Eigenart der Modelle verschwindet.
1968 überträgt Pocher alle seine Anteile an Rivarossi und verlässt die Modelleisenbahnszene.
Wiederaufnahme der Arbeit
Nach 4 schweren Jahren macht sich Arnaldo Pocher, inzwischen seit 1972 Mitgesellschafter von C.O.R.E.L (unter der Marke AR.PO – Turin), wieder daran, einige Zubehörteile für die wunderbare Spur N zu realisieren.
1975. – Er kommt wieder mit dem «kleinen Zug» und vermarktet unter der Marke AR.PO und Quattro Assi italienische und schweizerische Wagen – CFF und BLS – darunter der großartige 6-teilige Triebwagen (2 Schienen) TEE-Rae 1051.52 «Cisalpino». Die noble Firma Metropolitan aus Lausanne übernimmt den Verkauf. – Dies ist die Krönung. – Arnaldo Pocher ist nun 65 Jahre. Er wird – endlich – vom Chef der italienischen Eisenbahn, von der Gruppe der piemontesischen Modellbauer und vor allem von der internationalen Föderation der Modelleisenbahnbauer, als der Meister-Modellbauer anerkannt.
Arnaldo Pocher war kein Industriekapitän. Seine künstlerische Ader hielt ihn davon ab. Kunst und Phantasie sind mit Rentabilität nicht vereinbar. Aber er hat den Modellbau auf eine künstlerische Ebene gehoben, zu der nur seine Zauberhände fähig waren.
POCHER MODELLE
Die Pocher Produktion konzentrierte sich zunächst auf italienische Vorbilder, wurden dann aber bald international.
Die großartige Serie der Schlafwagen mit ihren vielfältigen Versionen wird nicht mehr hergestellt. Die durchschnittliche Produktion – vor 1963 – bei Wiederaufnahme durch Rivarossi – betrug nicht mehr als 2.000 Stück.
Der seltene «Armistice» ist überhaupt nicht selten, im Gegenteil; es wurden …. 9.000 Exemplare hergestellt. Meine Herren Spekulanten …. gute Nacht!
Dagegen wurden einige Stücke wie der Bayard oder der CC 7107 in limitierter Stückzahl gebaut. Bei dem «Mistral» können (bei den verkleideten Fahrgestellen) nicht reparable Schäden durch Materialschwäche auftreten.
Um zu unseren Waggons zurückzukommen, sollte man wissen, dass es Modelle, sowohl Güter- wie auch Personenwagen, nach italienischen, schweizerischen, deutschen (DB), schwedischen, französischen, amerikanischen, dänischen …Vorbildern gibt und sogar ein Modell nach belgischem Vorbild
Vier amerikanische Dampfloks «Western» und ein zweiteiliger Triebwagen der FS, rot und weiß, sind in Wirklichkeit schon Rivarossi-Produktionen. Im übrigen sieht die gesamte Imitationsproduktion «Pocher» nach 1963 nur noch äußerlich so aus.
Schon wenn man den Leichtplastik-Waggon und das Original in der Hand wiegt, stellt man fest, dass es nur eine blasse Kopie ohne Profil, ohne Seele … und ohne Wert ist.
Die schönsten Stücke sind ohne Zweifel die, die nach 1975 handwerklich hergestellt wurden (wie die gepanzerte Draisine auf den Schienen der deutschen Armee.).
Pocher war der große Künstler der Miniatur-Schiene ebenbürtig mit einigen französischen Künstlern der Nachkriegszeit wie Charles Vuillaume (Antal), Charles Volon (VB), Roger Gérard .., die leider nicht mit den heutigen großen Marken wirtschaftlich mithalten konnten. Letztere wollen sich zwar ein «handwerkliches» Aussehen geben, dies wird ihnen aber mit «Sonder»-Serien in großen Stückzahlen, zu überteuerten Preisen und ohne Risiko (gegen Vorkasse …) nicht gelingen. So wie – frei nach La Fontaine – der Ochse nicht in die Figur des Frosches schlüpfen kann, und schon gar nicht in die Kunst.
Übersetzung : Christer (Stockholm, Schweden)